Boxen im KZ – Eine Überlebensgeschichte

Kleist, Reinhard: Der Boxer. Die wahre Geschichte der Hertzko Haft, Carlsen Verlag, Hamburg 2012.

Reinhard Kleist, Carlsen Verlag, Hamburg 2013  Graphic Novels zur Geschichte des National-
  sozialismus? Kann der Holocaust, kann
  „Auschwitz“ künstlerisch adäquat dargestellt
  werden? Sollte man überhaupt einen
  entsprechenden Versuch wagen? Oft wird
  diesen und ähnlichen Fragen eher skeptisch
  begegnet. Doch spätestens seit Art Spiegel-
  mans vielbeachtetem Werk Maus (Band 1:
  1989, Band 2: 1992) sind die Shoah, die NS-
  Geschichte an sich, immer wieder in
  Form von Comics, Cartoons und Graphic Novels
  (GN) thematisiert worden.

  So auch durch den Berliner Autor und Zeichner Reinhard Kleist. Im Jahre 2012 erschien seine, ursprünglich als Fortsetzungscomic in der FAZ veröffentlichte, GN Der Boxer im Carlsen Verlag. Kleist erzählt hier die Lebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft (1925-2007).

Haft war 14 Jahre alt, als er im September 1939 den Einmarsch der Wehrmacht in Polen und somit den Beginn des Zweiten Weltkriegs erlebte. Zwei Jahre später wurde er zunächst in ein Lager bei Poznan, dann nach Strzelin und später nach Auschwitz deportiert. Im Nebenlager Jaworzno ermöglichte ihm allein die Teilnahme an sadistischen Box-Schaukämpfen zur Belustigung der Wachmann-schaften das Überleben. Gegen Ende des Krieges auf einen Todesmarsch geschickt, gelang ihm im April 1945 die Flucht. 1948 wanderte er in die USA aus, wo Haft als Profiboxer auch gegen den legendären Rocky Marciano antrat. Er heiratete und gründete eine Familie.

Haft war bereits 80 Jahre alt, als er seinem Sohn von seinen Erlebnissen berichtete. 2006 veröffentlichte Alan Scott Haft die Lebensgeschichte seines Vaters in den USA – 2009 erschien die deutsche Übersetzung unter dem Titel Eines Tages werde ich alles erzählen im Verlag Die Werkstatt. Die Adaption als GN entstand in enger Abstimmung zwischen Reinhard Kleist und den Angehörigen von Hertzko Haft.

Kleist hat mit Der Boxer ein packendes und vielschichtiges Werk vorgelegt. Es gelingt ihm, die Lebensgeschichte von Hertzko Haft in eindrücklicher Art und Weise und in schneller Folge zu erzählen. Die Bildsprache der GN ist hart und deutlich, in den Farben Schwarz und Weiß gehalten. Sie ist somit zugleich reduziert und ermöglicht eine Abstraktion der Geschehnisse. Nichts wird dabei beschönigt – jedoch auch nicht alles im Detail gezeigt. Schatten- und Konturzeichnungen werden als Ausdruckmittel genutzt, um „nicht Darstellbares“ zu beschreiben. Der Protagonist, der zutiefst traumatisierte Haft, wird als ambivalenter Charakter gezeichnet. An die GN schließt sich ein interessanter Informationsteil über Sport und speziell das Boxen in Konzentrations- und DP-Lagern an, welcher Hertzko Hafts Lebensgeschichte kontextualisiert.

Thematisch und gestalterisch richtet sich Der Boxer eher an eine erwachsene Leserschaft. Wird die Lektüre begleitet, so erscheint sie auch für jüngere Leserinnen und Leser geeignet. Grundsätzlich bietet das Medium der GN die Möglichkeit, ein breiteres Publikum anzusprechen. Es erlaubt eine weitere Art der Annäherung an die Thematik, welche jedoch nur vermeintlich einfacher ist, jedoch zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Thematik anzureizen vermag. Geschichtserzählung ist bekanntermaßen immer ein Konstrukt und abhängig von Perspektiven. Selbstverständlich finden sich auch Graphic Novels in diesem Spannungsfeld wieder. Wird Geschichtsnarration als Comic präsentiert, so muss sich der Rezipient stets bewusst sein, dass es sich hierbei um eine Form der Interpretation der Geschehnisse handelt. Die Bildsprache, die Stilmittel der GN gilt es hierbei zu analysieren und gegebenenfalls Stereotype aufzudecken. Einem Anspruch an Faktentreue und an Authentizität wird nicht jede dieser Publikationen gerecht.

All dies sollte den Leserinnen und Lesern auch bei der Lektüre von Der Boxer bewusst sein und gegebenenfalls problematisiert werden. Alse eigene Erzählform kann die GN jedoch einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus leisten.

Bild: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag, Hamburg 2013